Was ist es, ein:e Autor:in zu sein?

Marco Zander
4 min readMay 16, 2022

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Readability analysis: OK; SEO analysis: Verbesserungsbedarf.

Ganz einfach und platt: Ein:e Autor:in zu sein ist, ein:e Autor:in sein zu wollen.

Und dafür sind mir zwei Gründe bewusst: der erste liegt darin, was es eigentlich bedeutet ‘zu wollen’; der zweite liegt im weiteren Entmanteln der reflexhaften Klischees des (meines) Kopfes.

‘wollen’

Ich nehme kurz vorweg: Der Filmabspann, der wohl nach diesen Gedanken abzulaufen hat, lautet

Directed by
Harry Frankfurt, Edmund Husserl

Edited by
Marco Zander

, wobei die Fehler und Ungereimtheiten auf meine Kappe gehen.

Ok. Also. Ich glaube, jede:r kennt das, ich kenne es sicher: Sich zu wünschen etwas mehr zu wünschen. Nehmen wir so etwas einfaches, wie Geld zu verdienen: Warum kann es mir nicht wichtiger sein, mehr Geld zu verdienen? Oder: Warum kann es mir nicht wichtiger sein, mehr auszugehen? Warum kann es mir nicht wichtiger sein, Klavierspielen zu lernen, mehr Bücher zu lesen, zu schreiben, usw.?

Du, ich, wir, Menschen haben üblicherweise viele, konkurrierende Wünsche zweiter Ordnung. Einige solcher Wünsche zweiter Ordnung funktionieren besser als andere. Vielleicht, weil sie sich als leer entpuppt haben, vielleicht, weil man zu ihnen einfach nie den Zugang gefunden hat: Vielleicht habe ich nie herausgefunden, wie ich Spaß beim Feiern gehen haben kann; auf welche Weise ich Geld

,<FDP-Wähler:innen-Voice>viel Geld</FDP-Wähler:innen-Voice> ,

sinnvoll ausgeben kann; vielleicht habe ich nicht lange genug probiert, Klavier zu spielen, um das Sinnerlebnis des Musizierens zu fassen, usw.

“Ein Wunsch zweiter Ordnung funktioniert besser” heißt in dem Fall: Aus dem Zusammenspiel meiner Gedanken und Gefühlen (kognitive und affektive Komponente), kann ich wollen (for the records: volitionale Komponente), dass er mein Handeln bestimmt. Mit ein bisschen Glück präsentiert sich das Erlebte dann als sinnvoll. Wo ich es an mir z.B. ganz schrecklich finde, dass es nicht funktioniert, weil (so begründe ich es mir zumindest) die Gedanken und Gefühle nicht wirklich ineinandergreifen, ist die Arbeit für eine NGO: Ich weiß (kognitiv) schon, dass es sehr wahrscheinlich wirklich gut wäre, (viel) für diese NGO zu arbeiten und ihnen zu helfen, in einem organisierten Verbund das Leid auf der Welt zu mindern. Mehr als irgendwelche “Charkiw Notes”-Texte zu schreiben. Aber ich kann es nicht als sinnvoll empfinden. Ich kann es nicht wollen.

(Ja, ich habe mich schon hin und wieder gefragt, was das über mich als Mensch aussagt und warum das so ist. Und: Ja, vielleicht wäre das anders, wenn ich diese Menschen in Not persönlich kennen würde. Insofern könnte ich es ändern … aber mit diesen Gedanken kommen wir vom Thema weg, deswegen verfolge ich sie nicht weiter.)

Und insofern muss ich eben einen Wunsch für mich auswählen, der die Kraft hat mein Handeln zu bestimmen — um im Idealfall sowohl Sinn zu empfinden als auch etwas Sinnvolles zu tun. Dieser Wunsch ist dann, was ich wirklich will. In meinem Fall kann ich es wollen, zu schreiben/ ein Autor zu sein: Ich kann von den vielen Dingen, die ich mir wünsche zu wünschen, diesen Wunsch auswählen und sagen: “Das ist mein (freier) Wille. Ich kann mir wünschen, zu wünschen ein Autor zu sein und dass dieser Wunsch derjenige meiner Wünsche zweiter Ordnung ist, der mein Handeln bestimmen soll.” Ich versuche, ihn ins Handeln umzusetzen.

Dass ich diesen Wunsch, ein Autor sein zu wollen, spüre, kommt in unterschiedlichen Intensitäten, manchmal nimmt der kognitive Teil davon ab, manchmal der affektive Teil, manchmal nehmen sie dann auch wieder zu — aber insgesamt, will ich schreiben. Ich mag es, ich kann es manchmal, wenn es klappt, als sinnvoll empfinden.

Die Klischees im Kopf

Das bringt uns zum Kopf. Das wichtigste, um ein:e Autor:in zu sein, ist wohl, zu schreiben (schreiben zu wollen). Und diesen Punkt kann ich, denke ich, halbwegs kurz machen. Im Wonderbook wird Johanna Sinisalo mit den folgenden Worten zitiert:

The illusion of the ‘freshness’ of the story is a result of vigorous editing — the literary clichés, worn metaphors, too-obvious solutions and lazy style are exactly the mistakes you commit in the first drafts. — — Careful rereading and lots and lots of rewriting is, in my opinion, the key to produce text that’s flowing beautifully and sounds fresh and original.

- Johanna Sinisalo

Mir hilft es zu glauben (und ich denke, manchmal entspricht es auch der Wahrheit), dass auch viele “echte”, gute Autor:innen zunächst einmal — wie ich — “too-obvious solutions” im Kopf haben. Wenn ich solche Gedanken dann allerdings aufschreibe, mit ihnen arbeitet und nach und nach, wie eine Skulpteurin, die ein Stück Fels in Form bringt, in eine, wenn nicht der Wahrheit, dann zumindest mehr der Wahrheit entsprechende Form bringe, kann es etwas Lesenswertes, Wertvolles, Sinnvolles werden. Und dann … kann ich vielleicht sogar ein guter Autor werden. Und vermutlich sind zumindest alle guten Autoren echt … ?

Fazit

Dass also ein:e Autor:in zu sein, für mich bedeutet, ein:e Autor:in sein zu wollen, finde ich cool, weil es auch ein wenig der Realität entspricht: Wenn du wirklich ein:e Autor:in sein willst, dann … bist du es auch. Was du schreibst, darf sogar hin und wieder einem Klischee entsprechen, es darf Kitsch sein, darf die Metapher eines Skulpteurs sein, du solltest nur bereit sein, den Text immer mal wieder zu besuchen und dich zu fragen: ist das, was ich meine, sehe, empfinde? Und dann macht mir persönlich auch manchmal das Überarbeiten der Texte Spaß, weil ich sehe, dass es (mit ein wenig Glück) vom Klischee, vom Kitsch, vom Offensichtlichen wegkommt. (Ob ich es deswegen zu meiner Profession machen muss/soll, darüber bin ich mir übrigens noch nicht sicher… und da fällt mir ein, wenn “Autor:in sein” jetzt eben die Profession ist und viel, gerne, gut schreibende Menschen nicht Autor:innen sind, wenn sie kein Geld damit machen, dann … habe ich die Frage wohl nicht beantwortet. Eieiei.)

Marco

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Marco Zander

übergibt mit zweifelhaften Gefühlen Worte. Auf marcozander.com, manchmal aber auch hier.