Was schwer fällt — und man trotzdem tun sollte
Teil I — von der Jugend meiner Großmutter, Wespentaillen und Pflichten in Machtpositionen
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Was dich erwartet
In diesem Beitrag versuche ich darauf hinzuweisen, was uns schwer fällt — und wir trotzdem tun sollten: von unserer eigenen Stellung in der Welt zu abstrahieren und unser Handeln nach einem sich nach dieser Position richtenden Maßstab zu bemessen.
In der Tendenz ist der Beitrag vom Zugänglicheren zum Hürdenreicheren aufgebaut.
In diesem ersten Teil führe ich zu einer, wie mir scheint, oftmals konsensfähigen Faustregel hin: je mehr Macht das Individuum hat, desto mehr sollte es sich selbst in die Pflicht nehmen, mit ihr verantwortungsbewusst umzugehen. Der ganze Beitrag (Teil I und II + Vorbemerkungen) ist auf meinem Blog.
In ihm gehe ich dann auch auf eine menschliche Tendenz ein, von der ich glaube, dass sie uns davon abhält, zu einer besseren Welt zu kommen. Ich hoffe, dass der:die Leser:in sie auch bei sich einsieht und sie auch dort als problematisch erkennt.
Also, los geht’s.
Dass mit mehr Macht mehr Verantwortung kommt
Weihnachten 2022: Ich sitze mit meiner Mutter und meiner Großmutter beim Abendessen. Oma erzählt von ihrer Jugend auf dem Bauernhof, erzählt, dass man — weil es kein fließend Wasser im Haus gab — den Löffel nach dem Essen einfach abschleckte und ihn danach wieder zurück in die Schublade des Tisches für die nächste Mahlzeit lag. Und wenn wirklich mal etwas abgewaschen wurde, dann gab es einen Eimer Wasser für das Geschirr der ganzen Familie. “Das war in Deutschland und es ist keine 80 Jahre her.”, denke ich.
Am Abend sitze ich in meinem Kinderzimmer und frage mich, was sich seitdem nicht alles verändert hat, wie anders die Jugend meiner Großmutter und meine gelaufen ist; wie unglaublich es ist, dass wir es in so kurzer Zeit geschafft haben, von “es gibt kein fließend Wasser in vielen Häusern” zu “unser Lebensstil bedroht einen großen Teil des Lebens auf dem Planeten” zu kommen.
In meinem Blickfeld ist dabei alles voller Bücher. Die meisten davon sind Fantasy; viele handeln von Elfen: ein Volk, das es in eigentlich jeder Version schafft, seine Städte im Einklang mit der Natur zu bauen, oft haben diese Elfen keine eng begrenzte Lebensspanne, sondern können ähnlich mancher Pilzarten beinahe beliebig lange leben: bis sie eines Tages zu müde werden … und Abschied nehmen. Weiter führen mich meine Gedanken zum alten China: aus einer heutigen Perspektive beinah so fern wie diese Elfenreiche.
Vom alten China zu “The World is Doomed”
Über die Gesellschaft damals hörte ich mal, dass dort angeblich je mehr Macht ein Individuum besaß, es auch immer mehr Pflichten aufgelastet bekam. Der mächtigste Mann im Land, der Kaiser, hatte deswegen die meisten Pflichten in seinem Alltag zu erledigen. Er hatte das engste Korsett zu tragen. Aber nicht nur seine sondern jedermanns Pflichten wuchsen mit dem Maß an Verantwortung, das er trug, und mit der Macht, die er hatte.
Mir scheint es wichtig, das auf unsere heutige Situation zu übertragen. Auf die Menschheit als Ganzes, ebenso wie auf das Individuum und natürlich auf Frauen wie auch auf Männer — auf jede:n.
Denn dass die Menschheit mächtig genug geworden ist, um sich großteils oder sogar komplett selbst zu vernichten (Stichwort Atombomben), ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht zu bringen und das Klima beträchtlich zu beeinflussen, demonstrieren wir gerade auf erschreckend verantwortungslose Weise. Und ich glaube nicht, dass die Intentionen dabei jemals schlecht waren; ich glaube, die Menschen haben es mit sich und ihren Nächsten dabei eigentlich immer ganz gut gemeint; vermutlich wollten sie einfach nur Innovationen weiterführen und haben sich dabei erstmal einfach am eigenen Fortschritt erfreut — und es hat ja funktioniert, nicht?, sie hatten es besser — und ihre Kinder (bisher) ebenso.
Wenn ich an den ungewaschenen Löffel in der Schublade denke — kann ich es ihnen da wirklich übelnehmen?, dass sie nicht so weitsichtig waren, dass sie nicht bewusst nach möglichen Schattenseiten der Entwicklung fragten, als sich die Welt nach und nach zum Besseren und immer Besseren für sie wandelte?, dass man nicht früher begonnen hat, innezuhalten und sich zu überlegen, welche negativen Effekte mein “Fortschritt” andernorts haben könnte? … Hmm.
Und heute? Ist es absehbar, dass erstens an sich und seine Nächsten zu denken nicht mehr genügt — zu meinem Warum später mehr — und dass wir zweitens meilenweit davon entfernt sind, eine weitere Perspektive einzunehmen, eine die uns Verantwortung für unser Handeln übernehmen lässt.
“The World is Doomed”, denke ich.
Von “The World is Doomed” zur ersten Faustregel
Es mag nicht so klingen, was mir da aber manchmal hilft, ist der Gedanke an den Tod. Nicht so sehr an meinen eigenen und dass ich das vielleicht alles gar nicht mehr in seiner schlimmsten Ausprägung miterleben muss, sondern dass jeder Mensch, immer wieder von vorne anfangen muss und nicht wieder in den alten Überzeugungen gefangen ist. Wir sterben und machen Platz für weniger festgefahrene Menschen.
Ich habe ein Fünkchen Hoffnung, dass die Menschen so eines Tages im Bewusstsein aufwachsen, dass sie je mächtiger sie werden, je mehr Privilegien sie haben, desto strenger mit sich selbst sein müssen.
Ich denke, das wäre eine gute Maxime, an die sich alle Menschen heute schon halten sollten. Eine Maxime, zu der wir den Weg bereiten sollten.
Nehmen wir mich als Beispiel: Ich halte mich für überdurchschnittlich intelligent, habe einen Master of Science, die Möglichkeit mich immer weiter zu bilden, sogar noch zu studieren. Ich bin ein weißer Mann, mehr oder weniger blond, bin zwar von einer alleinerziehenden Mutter ohne Universitätsabschluss großgezogen worden, habe von ihr aber eine gute finanzielle Bildung mitbekommen und sie hat immer gut verdient. Ich war auf einer Schule, die sich selbst als Elite bezeichnete, auf einer Schule, auf der man wirklich versucht hat, mich zu fördern. Ideal war das Umfeld dort trotzdem sicher nicht für jede:n, für manche war diese Schule vielleicht ein Hemmschuh, aber mich hat sie ehrlich versucht zu fördern. Ich wurde gut betreut. Insofern sehe ich mich im globalen Vergleich als außerordentlich privilegiert und sogar relativ mächtig.
In selber Weise gehe ich aber auch bei dir, liebe Leserin, lieber Leser, davon aus, dass du, je intelligenter du bist, je mehr Vorrechte du hast, je mehr Optionen dir offen stehen, — auch, wenn du dir diese neuen Optionen selbst erarbeitet hast — , je mehr Fähigkeiten dir innewohnen, je mehr Geld du verdienst und je besser es dir geht, dir umso stärker dein Pflichtenkorsett schnüren solltest, wie es eben Sitte beim Kaiser gewesen ist. Vermutlich kannst du mittlerweile schneller reisen, als er es sich jemals hätte träumen lassen; hast eine Lebensmittelauswahl im Supermarkt, die seine Augen groß werden ließe, und die Fülle an Informationen, die dir im Internet und in Bibliotheken zur Verfügung steht, ist etwas, das keinem Adligen vor wenigen hundert Jahren irgendwie möglich gewesen wäre. All das spielt für mich zusätzlich mit in meine Überzeugung, dass du an dich und wir an uns höhere Anforderungen stellen sollten als du es aller Wahrscheinlichkeit nach aktuell tust.
Das ist also die erste Faustregel, die in diesen Beitrag soll: spann dir dein Korsett — und spann es beinah so fest, wie eine junge Dame der Pariser Gesellschaft im 19. Jahrhundert: für die Wespentaille müssen wir uns leider zunächst so aushelfen, bis wir vielleicht einst die gesellschaftlichen Fortschritte machen, dass es dieses groteske Ding nicht mehr braucht. Hoffentlich. Und wenn es dir hilft, dann ersetz das Korsett mit Fitnessstudiobesuchen und die Wespentaille mit dem V-Kreuz … oder wie auch immer gearteten Rundungen — solange es für dich funktioniert, soll mir das alles recht sein.
Marco
Weiter geht es auf meinem Blog.
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